Dienstag, 24. Dezember 2019
Am Grab
Gestern war ich mit meiner Mutter am Grab meiner Großmutter, und wie bei jedem Grabbesuch flossen bei mir reihenweise die Tränen.

Ich bin nicht traurig, dass sie gestorben ist. Jeder Mensch muss eines Tages gehen, und das ist auch gut so. Meine Oma war alt und hat ihr Leben gelebt, hat viel gesehen, hat eine große Familie großgezogen, und ich glaube sie war glücklich - nicht über alles, aber über das meiste. Sie hat Hitler und den Weltkrieg überlebt, hat in großer Not gelebt, war mit einem Alkoholiker verheiratet, der ihr auch viele Möglichkeiten zunichte gemacht hat, aber sie war eine glückliche, gute Gastwirtin und Mutter und Großmutter. Zum Schluss war sie alt und senil und ihre letzten Worte waren "Ich kann nicht mehr". Da waren ihre Pupillen schon ganz weiß und sie schon halb im anderen Reich.

Ich vermisse sie aber, weil ich sie gerne stolz gemacht hätte. Sie hat glaube ich nie verstanden, wer ich wirklich bin und was ich beruflich mache - nicht zuletzt deswegen, weil ich das selber so lang nicht wusste. Es tut mir so leid, dass sie gegangen ist in meinen verwirrten Jahren, in denen ich nach dem Studium noch kein Geld verdiente. Ich stelle mir vor, wenn sie noch drei weitere Jahre gelebt hätte, wie sie in ihrem Altersheim den anderen stolz erklärt hätte, heute Abend läuft eine Folge im Fernsehen geschrieben von ihrem Enkel. Und obwohl sie die Folge kaum verstehen würde (weil moderne Serien schnell geschnitten sind, und meine Oma das nicht mehr gerafft hätte), hätte sie gesagt, wie toll sie es fand und wie stolz sie auf mich ist. Und ich hätte sie umarmt und mich gefreut, sie stolz gemacht zu haben.

In dem Sinne bin ich wahrscheinlich einfach nur traurig darüber, dass ich diese Geschichte nicht so zu Ende erzählen konnte.

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