Dienstag, 3. November 2015
Lysande
Meine Arbeitskollegin heißt Lysande, und sie ist die interessanteste Person, die ich seit Jahren kennen gelernt habe.

Natürlich, wie könnte es auch anders sein, erinnert sie mich an die Frau, die ich liebe. Lysande ist fokussiert, ehrgeizig und fleißig. Sie ist kalt gegenüber Menschen, die sie nicht kennt - ihre Professionalität verbietet ihr das, Kunden und Besuchern das sehen zu lassen, aber ich sehe durch diesen Schleier hindurch. Gleich wie Lydia ist sie der allerliebste Mensch gegenüber jenen, die sie als ihren inneren Kreis anerkennt. Gleich wie bei Lydia bin ich nicht in diesem Kreis.

Vor allem Männern gegenüber scheint sie sehr kühl zu sein, habe ich das Gefühl. Mit so gut wie allen Mitarbeiterinnen hat sie einen erstklassigen Rapport - mit denen nimmt sie sich auch mal eine Minute, um mit ihnen zu plaudern. Für mich oder die anderen Männer hat sie sich noch nie eine Minute Zeit genommen.

Diese Ablehnung wiegt mir schwer am Herzen. Einerseits knabbert es am Ego - ich bin nicht so ein beliebter, zugänglicher oder witziger Typ, wie ich es gerne wäre. Andererseits... andererseits ist es genau die selbe Art von Ablehnung, die ich von Lydia gewohnt wurde, nachdem mir und ihr bekannt wurde, dass sie meine Gefühle nicht erwiderte.

Wie Lydia hat Lysande eine scheinbar mühelose Eleganz an sich. Ich bin irgendwie immerzu fasziniert von ihrer Würde. Und natürlich: Wahnsinn, wie schön sie ist.

Ich fühle mich sehr von ihr angezogen, auch wenn ich mich nicht in sie verliebt habe - obwohl ich da durchaus Gefahr laufe. Ich arbeite am Nebentisch... und kann nicht anders, als zu bemerken, dass ich mich für ihre Arbeit und ihr Arbeiten wesentlich mehr interessiere als umgekehrt. Und ja, ich habe mir schon vorgestellt, wie es wäre, sie in den Arm zu nehmen, und es wurde mir ganz wohlig dabei ums Herz. Oh mist...

Sie ist eine der drei wichtigsten Mitarbeiterinnen des Museums - in keinem Fall könnte ich mir eine Beziehung oder Affäre leisten. Aber das ist nicht wirklich ein Problem - wenn jemand Erfahrung darin hat, seinen Gefühlen nicht nachzugehen, dann ich. Der Umgang damit braucht Übung, aber die habe ich. Ich besitze genug Selbstdisziplin, um fleißig anderswo nach heißen Bräuten zu schauen.

Aber ich interessiere mich zudem für Lysande auf eine Art, die weit wichtiger ist als meine Gefühle. Ich möchte ergründen, wer sie ist und warum sie so ist, damit ich daraus lernen kann, was ich und vor allem wie ich es bei Lydia hätte besser machen sollen. Damit, wenn ich jemals wieder einer Frau wie Lydia begegne, ich besser sein kann.

Ich will lernen, wie ich dieser Eiseskälte, die von meiner Mitarbeiterin ausgeht, begegnen kann, und wie ich dieses Mädchen zu meinen Gunsten auftauen kann. Aus diesem Grund verfolge ich genauestens, wie Lysande mir begegnet, warum ich sie als einzige Person im Büro nicht zum Lachen bringen kann, und warum sie einfach durch mich hindurchsieht, wann immer sie zufällig in meine Richtung sieht. Diese Frau ist eine Herausforderung, der ich mich unbedingt stellen möchte, weil sie mir so viel über mich selber beibringen könnte - und vielleicht sogar einen Weg aus meiner Obsession für Lydia.

Eine Strategie, die ich verfolge, ist, ein paar kleine Andeutungen zu säen, dass ich an ihr interessiert wäre (okay... bin). Das tue ich in etwa dadurch, dass ich ihr tief in die Augen blicke, wann immer sie etwas von mir braucht.

Und gestern, als wir beim Gala-Dinner in unsere schönsten Gewänder getaucht waren, brachte ich an: "Hey Lysande... let me take a quick moment to tell you that you are a remarkable woman and that you simply look breathtaking."

Sie reagierte kaum. So hätte Lydia auch reagiert.

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