Donnerstag, 1. September 2022
Psychotherapie #5
Heute haben wir zuerst darüber geredet, wie viel Gedanken ich mir darüber mache, was die "richtige" Meinung zu etwas ist, und dass ich mich manchmal nicht traue sie auszusprechen, vor allem wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass ich die gesellschaftlich falsche Meinung habe.
Das laut auszusprechen hat mich reflektieren lassen, was ich überhaupt für die gesellschaftlich richtige Meinung halte - und es stellt sich heraus, dass ich den gesellschaftlichen Konsens der intellektuellen Bubble als die "richtige" Meinung betrachte, aber manchmal eben struggle, deren Ideale aufrecht zu erhalten. Ich bin ein LGBTIQ ally, aber ich finde das, was JK Rowling gesagt hat, nicht so tragisch. Ich finde schlimm, was Kevin Spacey gemacht hat, aber ich bemühe mich nicht, seine Filme oder Serien nicht mehr zu schauen. Und so weiter.

Ich habe auch diesen Blog erwähnt und dass meine Freundin diesen jetzt liest - und wie es mir damit geht, dass ich den Blog ein ganz klein wenig zensiert habe, bevor ich ihr den Namen verraten und damit den Link gegeben hatte. Und dann habe ich die Frage in den Raum geworfen, ob ich meiner Psychotherapeutin den Link geben soll. Einerseits will ich ihr dadurch nicht Arbeit bereiten und trage Sorge, dass sie sich verpflichtet fühlen würde ihn zu lesen. Andererseits finde ich meine Melancholie unter Palmen absolut lebenswert, einen spannenden Einblick in die Psyche eines Menschen - einen, den sie nach einigen Sessions nun auch schon halbwegs kennt - und ich halte es für eine spannende Abendlektüre. Dieser Blog ist nämlich, genau so wie mein vorheriger (2004-2014), eine echte Schatztruhe meiner Erinnerungen.

Dann jedoch stellten wir fest: Wenn ich ihr den Blog verlinke, dann liest sie auch meine Reflexionen über die Therapiestunden (dem könnte sie sich nicht verwehren!), und das könnte mich dann widerum beeinflussen, was ich hineinschreibe. Ich bestand darauf, keinen Grund dafür zu haben etwas vor ihr geheim zu halten, denn das tat ich in den Therapiestunden auch nicht - außer, dass ich sie attraktiv finde. Das gestand ich ihr damit, stellte aber auch gleich fest, dass es nicht mehr ist und ich dem auch keine Bedeutung beimesse. Die Zeit ist vorbei.

Als ich meiner Freundin gerade eben von dieser Unterredung erzählte, war sie schwer enttäuscht von mir und sagte mir, wie unprofessionell das ist. Ich bin der Überzeugung, dass ich als Psychotherapiepatient nicht professionell zu sein habe, aber begann zu verstehen, dass das problematischer ist, als ich es mir bei der Psychotherapiestunde bewusst gewesen war. Die Psychotherapeutin wechselte professionell (und ungewöhnlich bestimmend) sofort das Thema.

Spannend: Hätte ich lügen sollen? Selbst in meiner Psychotherapie? Was ich bislang immer so genossen hatte war dieses ultimative Frei-Schnauze-Gefühl, das ich sonst im Grunde nirgendwo habe (bei meiner Freundin noch am ehesten, aber auch da gibt es Grenzen).
Ich hoffe, ich kann dieses Thema einfach vergessen, damit es nicht mehr Thema sein wird. Die Psychotherapeutin bedeutet mir ja persönlich nicht wirklich was, aber sie ist schon eine ganz coole Socke, wahnsinnig gescheit und es macht echt Freude mit ihrer Hilfe meine Seele durchzuleuchten - ich glaube es wäre schwierig, eine ähnlich gute zu finden, und hoffe, ich hab damit nicht etwas kaputt gemacht. Ich bin gespannt, ob ich es beim nächsten Mal aufgreifen werde, vielleicht im Kontext, wie ich auf Frauen in meinem Umfeld reagiere - oder noch besser, ich habe bei der nächsten Sitzung längst diesen Fauxpas vergessen, entschuldige mich deshalb auch nicht für ihn und wir können einfach weiter über meine weiteren Seelenwehwehs reden.

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